Aufruf für inklusive Freiwilligendienste

An Vertreterinnen und Vertreter des BMZ, BMFSFJ, AA & der Koordinierungsstelle weltwärts:

An die Entsendorganisationen & Aufnahmeorganisationen der entwicklungspolitischen Freiwilligendienste weltwärts, Internationaler Jugendfreiwilligendienst, kulturweit und Europäischer Freiwilligendienst:

An die Freiwilligen und Rückkehrer*innen dieser internationalen Freiwilligendienste:

Wir fordern Sie und Euch dazu auf, sich an einer chancengerechten Entwicklung der Freiwilligendienste zu beteiligen!

Die Teilnehmenden des Seminars „Freiwilligendienste für alle!“, das vom 3.-5. Juli 2015 in Berlin stattfand, stellen im Kontext internationaler Freiwilligendienste einen Mangel an Vielfalt fest. Die übermäßige Repräsentanz einer bestimmten Bevölkerungsgruppe steht der strukturellen Exklusion von zahlreichen Gruppen unserer heterogenen Gesellschaft gegenüber. Das haben ehemalige Freiwillige und andere Akteure in der Vergangenheit bereits mehrfach kritisiert.1

Wir verstehen Inklusion als breit gedachten Begriff und setzen uns für die Öffnung von internationalen Freiwilligendiensten für alle jungen Erwachsenen ein. Nur durch eine angemessene Repräsentation von Menschen mit verschiedenen Lebenshintergründen kann auch das Ziel des weltwärts-Programms, entwicklungspolitische Anliegen in die breite Gesellschaft zu bringen, erreicht werden. Ebendies gilt für alle anderen internationalen Freiwilligendienste, die einen politischen oder zivilgesellschaftlichen Lernprozess anstreben.

Wir gehen davon aus, dass sich die verschiedenen Akteursgruppen internationaler Freiwilligendienste für Vielfalt und interkulturelles Lernen stark machen wollen. Allerdings fehlt es an Trägerorganisationen, die mit der Lebensrealität von People of Color (PoC)2 und anderen unterrepräsentierten Bevölkerungsgruppen zu tun haben, wie z.B. muslimische und jüdische Gemeinden oder diasporische Organisationen.

Wir begrüßen, dass die Ergebnisse des Follow-Up-Prozesses im weltwärts-Programm (endlich) umgesetzt werden. Die Einrichtung der Kompetenzzentren sind ein Schritt in die Richtung inklusiverer Freiwilligendienste. Es müssen noch viele weitere Schritte folgen.

Daher fordern wir :

  • eine angemessene Finanzierung von neuen Konzepten zur Diversifizierung der Programme und deren konsequente Umsetzung.
  • mehr Engagement bei der Gewinnung besonderer Zielgruppen durch eine angepasste Zielgruppenansprache: Diese umfasst unter anderem barrierefreie Kommunikationsmittel, Vielfalt in den Informationsmaterialien sowie die kohärente und stringente Information und Weiterleitung von Interessent*innen der neuen Zielgruppen zu den jeweiligen zielgruppenspezifischen Informationsstellen/Kompetenznestern. Die neuen Zielgruppen müssen in Bewerbungsverfahren eine gesonderte Berücksichtigung finden. Alle Veranstaltungen müssen barrierefrei gestaltet werden und Projekte, die potenziell Menschen mit Behinderung aufnehmen, sollen besonders hervorgehoben werden.
  • eine gezielte Kooperation mit Migrant*innen-Selbstorganisationen (MSO), Gewerkschaften, Ausbildungsbetrieben und Selbstorganisationen von Menschen mit Behinderung. Es braucht ermutigende Unterstützungsprogramme sowie mehr Präsenz in nicht-gymnasialen Schulformen, damit das Programm auch von einer potentiellen Vielfalt an Freiwilligen angenommen wird.
  • das pädagogische Konzept und Begleitprogramm der verschiedenen Akteursgruppen in internationalen Freiwilligendiensten für die erweiterten Zielgruppen anzupassen. Erhöhte Betreuungsaufwände müssen vermehrt angeboten und angenommen werden. Wichtig ist es, Schulungen zum Thema Inklusion zu ermöglichen und eine Sensibilisierung bezüglich Strukturen von Diskriminierungen, Rassismus und Postkolonialismus zu fördern. Im Gegensatz zu Weißen3 Freiwilligen haben Freiwillige of Color sowohl Rassismuserfahrungen in Deutschland als auch Identitätskonflikte als deutsche*r Nicht-Weiße*r im Gastland. Vor allem Seminare müssen für den Kontext der diversen Gesellschaft angepasst werden, z.B. durch eine erhöhte Diversität bei Mitarbeitenden und Teamer*innen, zum Beispiel durch die Schaffung von Schutzräumen in der pädagogischen Begleitung für PoC oder durch Empowerment-Workshops.
  • dass der Aspekt der Inklusion als Prüfkriterium in der Antragsvergabe der Koordinierungsstelle weltwärts und anderen Vergabestellen mit aufgenommen wird.
  • eine offene, nachdrückliche Kommunikation der Finanzierungsleitlinien auf den Aspekt von Übernahmen zu Mehrkosten von inklusiven Maßnahmen. Außerdem muss eine Auflistung der Maßnahmen zur Übernahme von Mehrkosten für die weiteren neuen Zielgruppen entwickelt werden.
  • dass Rückkehrer*innenarbeit Vorbildcharakter haben und inklusiv gestaltet sein muss. Das Thema soll in den Fokus des Engagements rücken und Teil standardisierter Evaluationen sein. Maßnahmen für Rückkehrer*innen-Projekte der neuen Zielgruppen müssen im selben Umfang gewährleistet werden, um ein inklusives Rückkehrer*innen-Engagement zu ermöglichen.

Die Teilnehmenden von „Triff PFIF – Freiwilligendienste für alle!“

1: Siehe bspw. den offenen Brief der Teilnehmenden der undjetzt?!-Konferenz 2013 oder die Evaluierung des weltwärts-Programms.
2: Der Begriff „Migrationshintergrund“ ist unserer Ansicht nach problematisch. Wir bevorzugen den Begriff „People of Color“, welcher Menschen mit Rassismuserfahrungen in einer weißen Mehrheitsgesellschaft beschreibt und im Gegensatz zur ersten Bezeichnung von der Gruppe selbst gewählt wurde.
3: „Weiß“ ist hier  groß geschrieben, weil es als politische Kategorie verstanden wird. Dazu: „Die Begriffe ›Weiß‹ und ›Schwarz‹ mit großem ›W‹ und ›S‹ verweisen auf den politischen Kontext: ›Schwarz‹ bezieht sich auf die gemeinsamen Rassismuserfahrungen verschiedener, mittels der Kategorie ›Race‹ markierter Gruppen. ›Weiß‹ bezeichnet hier die Menschen, die aufgrund ihrer weißen Hautfarbe und europäisch/nordamerikanisch-christlichen Herkunft privilegiert und Subjekte rassistischer Prozesse sind.“ (Otto Busse)