An Vertreterinnen und Vertreter des BMZ, der Koordinierungsstelle weltwärts, Engagement Global sowie der Qualitäts- und Interessensverbünde:
An die Entsendeorganisationen und Aufnahmeorganisationen, sowie an die Freiwilligen und Rückkehrer*innen des entwicklungspolitischen Freiwilligendienstes weltwärts:
Auch wenn sie nicht auf den ersten Blick erkennbar sind wie ein gebrochenes Bein oder eine Narbe auf dem Arm: Psychische Erkrankungen beeinträchtigen die Lebensqualität betroffener Menschen in hohem Maße und müssen deshalb genauso ernst genommen werden wie physische.
Freiwilligendienste wie weltwärts sind sowohl im positiven als auch im negativen Sinne eine besonders intensive Erfahrung. Nur nachvollziehbar ist daher, dass ein Freiwilligendienst Auswirkungen auf die psychische Gesundheit junger Menschen haben kann. So passiert es, dass Freiwillige während ihres Freiwilligendienstes Situationen erleben, die sie belasten und potenziell auch traumatisieren. Dabei haben Freiwillige mit diesen psychischen Belastungen oft nicht nur während des Freiwilligendienstes zu kämpfen, sondern auch über diesen hinaus.
Wir möchten mit diesem Papier die spezifischen Belange und Schwierigkeiten von (ehemaligen) Freiwilligen im Hinblick auf psychische Belastungen und deren Folgen thematisieren, und möchten diesbezüglich eine weitreichende Sensibilisierung und konstruktive Auseinandersetzung auf allen Ebenen des weltwärts Programms erreichen. Insbesondere fordern wir, dass hier auch explizit ein Fokus auf die Lebensrealitäten von Süd-Nord-Freiwilligen gelegt wird. Wir möchten betonen, dass hiermit der Freiwilligendienst nicht grundsätzlich infrage gestellt werden soll. Dennoch erachten wir einen bewussteren, sensibleren Umgang mit dem Thema als wünschenswert – im Sinne der Freiwilligen und aller anderen Akteur*innen!
Die PFIF hat sich im letzten Jahr darum bemüht Einblicke aus verschiedenen Perspektiven auf das Thema zu bekommen. Wir haben uns nicht nur mit ehemaligen Freiwilligen ausgetauscht, sondern auch mit Trägerorganisationen auf der Offenen Trägertagung sowie über Telefonate und Emails mit Vertreter*innen der Qualitätsverbünde und Engagement Global korrespondiert.
Uns ist bewusst, dass für die Trägerorganisationen durch den Qualitätsanforderungskatalog (QuAK) klare Anforderungen bestehen hinsichtlich der pädagogischen Begleitung von Freiwilligen sowie des Krisenmanagements. Wir begrüßen insbesondere die geforderte Thematisierung von sexualisierter Gewalt auf den pädagogischen Seminaren. Da die konkrete Ausgestaltung des QuaK den Trägern unterliegt, gibt es hier allerdings große Unterschiede in der konkreten Umsetzung – bei vielen Entsendeorganisationen sehen wir noch großen Handlungsbedarf.
Ziel sollte es sein psychische Gesundheit auf allen pädagogischen Seminaren zu thematisieren. Wir sehen hierbei einen besonderen Bedarf bei den Seminaren der Süd-Nord Komponente. Es muss verdeutlicht werden, dass psychische Probleme im Laufe des Lebens – und des Freiwilligendienstes – auftreten können; dass Freiwillige damit aber nicht allein bleiben müssen!
Das Thema sollte präventiv insbesondere auf den Vorbereitungsseminaren eingebracht werden, indem die Freiwilligen über verschiedene psychische Erkrankungen und ihre Risikofaktoren aufgeklärt und für deren erste Anzeichen sensibilisiert werden und außerdem Hilfsangebote aufgezeigt werden, die es für Freiwillige in Bezug auf psychische Gesundheit gibt. Uns ist bewusst, dass es hierzu bereits bestehende Angebote für Freiwillige gibt (z.B. im Rahmen der Auslandskrankenversicherung). Wir möchten allerdings unterstreichen, dass es hierbei eine bessere und klarere Kommunikation mit den Freiwilligen geben muss, denn wie sooft liegt der Fokus zumeist auf physischen Krankheiten/Unfällen.
Die Seminare sollten den Freiwilligen Raum geben über belastende Erlebnisse und ihre psychische Gesundheit reden zu können, ob in der Gruppe oder in Einzelgesprächen. Essenziell ist dabei die Schaffung einer offenen und wertschätzenden Atmosphäre in der pädagogischen Begleitung.
Insbesondere sollten auf den Seminaren auch Themen aufgegriffen werden, die nur spezifische Personengruppen betreffen, beispielsweise Sexismus, sexuelle Belästigung/Gewalt für als Frauen gelesene Menschen, Rassismus für BIPoC, etc… Dies muss entsprechend bei der pädagogischen Begleitung und bei der Seminargestaltung beachtet werden, z.B. indem Safe Spaces gebildet und bei Bedarf Empowerment-Trainer*innen engagiert werden. Auch die Intersektionalität verschiedener Diskriminierungsformen darf nicht vergessen werden. Wir sehen überdies die Notwendigkeit, dass Süd-Nord Seminare explizit von Teamer*innen mitdurchgeführt werden, die die Erfahrungen von Süd-Nord Freiwilligen persönlich nachvollziehen können. Ebenso sollte die Möglichkeit von Einzelgesprächen während des gesamten Freiwilligendienstes auch für Süd-Nord Freiwillige gewährleistet werden.
Damit einhergehend sollten alle Personen, die Freiwillige begleiten, für den Umgang mit psychischen Belastungen sensibilisiert und vorbereitet werden. Wir möchten darauf hinweisen, dass es für Träger bereits verschiedene Fortbildungen und Materialien zu diesen Themen gibt, die von den Qualitätsverbünden angeboten werden. Wir wünschen uns, dass Träger diese Angebote (regelmäßig) wahrnehmen und sich diesbezüglich (weiter) austauschen. Auch eine Sensibilisierung der Partnerorganisationen sollte angestrebt und der Austausch hierzu gefördert werden.
Wir fordern nicht nur, dass Entsendeorganisationen/Mentor*innen den Freiwilligen ihre Ansprechbarkeit signalisieren, sondern auch, dass sie ein offenes Ohr für Freiwillige haben, wenn diese sich an sie wenden. Probleme sollten ernst genommen und auch nicht bewertet werden. Das Wohlergehen der Freiwilligen sollte stets im Vordergrund stehen und nicht organisatorische oder strategische Gesichtspunkte der Entsendeorganisation.
Wir möchten betonen, dass die konkrete Ausgestaltung von Einsatzstellen oder auch die Wohnsituation Freiwillige psychisch belasten kann und fordern deshalb, dass in diesen Fällen konkrete Gegenmaßnahmen eingeleitet werden. Ein Beispiel ist das hohe Arbeitspensum bei Süd-Nord Einsatzstellen in Pflegeeinrichtungen, das bei Freiwilligen zu starken Stressbelastungen führen kann.
Betroffene sollten im Rahmen der Möglichkeiten unterstützt werden, wir erkennen aber an, dass ein*e Mentor*in nicht alle Themen abdecken kann, die bei der Betreuung von Freiwilligen aufkommen kann. Ebenso wenig sind die Ansprechpartner*innen innerhalb der Entsendeorganisationen ausgebildete Psycholog*innen. Es ist deshalb wichtig, dass diese Personen Freiwillige an Expert*innen verweisen (können), sollte dies nötig sein.
Generell fordern wir, dass eine externe, träger- und organisationsunabhängige psychologische Begleitung von Freiwilligen über den gesamten Freiwilligendienst gewährleistet ist. Freiwillige müssen die Möglichkeit haben, qualifizierte psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen, und zwar bevorzugt aus ihrem Heimatland/eigenen kulturellen Background. Um einen persönlicheren Kontakt zu ermöglichen, könnten unabhängige Psycholog*innen sich schon bei den Vorbereitungsseminaren vorstellen und/oder insbesondere bei den Rückkehrseminaren präsent sein. Ziel sollte sein, dass die Freiwilligen niedrigschwellige Angebote haben, um sich Hilfe zu suchen und dass es verschiedene Alternativen gibt. Denn es kann immer verschiedenste Gründe geben, wieso man sich nicht an eine bestimmte Person – oder auch nicht an eine anonyme Telefonnummer – wenden möchte.
Es ist keine Seltenheit, dass psychische Belastungen und Erkrankungen bei Freiwilligen erst nach einiger Zeit zum Vorschein kommen, oftmals ist dann der Freiwilligendienst bereits beendet. Wir erkennen an, dass die Entsendeorganisationen endliche Kapazitäten haben und sich nach Beendigung des Freiwilligendienstes abgrenzen dürfen. Deshalb erscheint es uns umso wichtiger, dass das Thema auf den Rückkehrseminaren aufgegriffen wird und Freiwillige hier dazu befähigt werden, sich selbst weiter zu helfen, beispielsweise durch das Bereitstellen von Informationsmaterial und das Verweisen auf Beratungsstellen. Dies sollte auch noch nach Ende des Freiwilligendienstes gewährleistet werden, sollten sich Freiwillige bei ihnen melden.
Generell wünschen wir uns, dass Feedback und Kritik, welches die Entsendeorganisationen in dieser Hinsicht erreicht, ob während des Freiwilligendienstes oder erst später, ernst genommen wird und konkret zu Verbesserungen führt. Außerdem haben wir die Erfahrung gemacht, dass Gespräche und Austausch untereinander, ehemaligen Freiwilligen Kraft geben kann sowie das Gefühl nicht allein zu sein. Räume für Vernetzung und Alumni Netzwerke sollten deshalb gefördert und unterstützt werden.
Für die PFIF ist das Thema auch weiterhin noch nicht abgeschlossen. Wir haben einige weitere Ideen wie etwa eine qualitative Studie zu psychischen Erkrankungen in und durch den Freiwilligendienst, z.B. in Kooperation mit Universitäten. Psychische Erkrankungen sind kein Einzelfall, sondern eine verbreitete gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Wir wünschen uns, dass der Austausch diesbezüglich innerhalb des weltwärts Programms, aber auch zusammen mit ehemaligen Freiwilligen, gefördert wird. Die PFIF steht hierzu gerne bereit.
Veröffentlichung: November 2021